Zusatzurlaub

Menschen mit Schwerbehinderung erhalten einen Zusatzurlaub von 5 Tagen, wenn sie pro Arbeitswoche 5 Tage arbeiten. Wie der Zusatzurlaub bei unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen und bei unterjährigem Eintritt oder Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ermittelt wird, erläutert dieser Beitrag.

Menschen mit einer für das ganze Kalenderjahr anerkannten Schwerbehinderung erhalten einen Zusatzurlaub von 5 Tagen (bei einer 5-Tage-Arbeitswoche, § 208 Absatz 1 SGB IX). Die zu­sätz­li­chen Urlaubstage sind dem gesetzlichen oder tariflichen Urlaub hinzuzurechnen.

Besteht die Schwerbehinderteneigenschaft nicht während des gesamten Kalenderjahres (zum Beispiel Anerkennung einer Schwerbehinderung ab dem 15.6.), so hat der Mensch mit Schwer­be­hin­de­rung für jeden vollen Monat der im Beschäftigungsverhältnis vorliegenden Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft einen Anspruch auf ein Zwölftel des Zusatzurlaubs (im obigen Beispiel also für 6 Monate).

Entstehen bei dieser Berechnung Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, so sind sie auf volle Urlaubstage aufzurunden. Der so ermittelte Zusatzurlaub ist ebenfalls dem allgemeinen Erholungsurlaub hinzuzurechnen.

Mehr Zusatzurlaub möglich

Der Anspruch nach § 208 SGB IX ist ein Mindestzusatzurlaub. Sehen gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Regelungen (Betriebsvereinbarung) einen längeren Zusatzurlaub zu­guns­ten Be­schäf­tig­ter mit Schwerbehinderung vor, so gelten diese Sonderregelungen (§ 208 Absatz 1 Satz 2 SGB IX).

Bei einer Gleichstellung besteht demgegenüber kein Anspruch auf Zusatzurlaub (§ 151 Absatz 3 SGB IX).

Bemessung des Zusatzurlaubs

Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers mit Schwer­be­hin­de­rung auf mehr oder weniger als 5 Arbeitstage in der Woche, erhöht oder ver­min­dert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Arbeitet er zum Beispiel an 4 Tagen in der Woche, stehen ihm auch nur 4 Tage Zusatzurlaub zu. Verteilt sich die Wochenarbeitszeit auf zum Beispiel 6 Tage, beträgt der Zusatzurlaub ebenfalls 6 Tage. Auch bei Teilzeitarbeit von Ar­beit­neh­mern mit Schwerbehinderung ist die Verteilung ihrer Arbeitszeit auf die Wochentage maßgeblich (zum Beispiel 3 Arbeitstage pro Arbeitswoche = 3 Tage Zusatzurlaub). Die Urlaubsdauer ist aber stets auf eine Arbeitswoche begrenzt.

Im öffentlichen Dienst in einzelnen Bundesländern wird ein zusätzlicher Urlaub von bis zu 3 Tagen für Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von weniger als 50 gewährt (vergleiche § 13 HUrlVO in Hessen, § 23 AzUVO in Baden-Württemberg).

Geltung der allgemeinen Urlaubsgrundsätze

Ansonsten gelten die allgemeinen Urlaubsgrundsätze, das heißt, der Zusatzurlaub folgt dem Grundurlaub hinsichtlich seines Entstehens (zum Beispiel War­te­zeit/Teil­ur­laub bei nicht voll er­füll­tem Urlaubsjahr; Urlaubsjahr = Kalenderjahr), der Gewährung (zum Beispiel bei Lehrern in der unterrichtsfreien Zeit), seines Erlöschens und des Abgeltungsanspruchs nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis (ständige Rechtsprechung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, vergleiche Urteil vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10).

Erwerb des Anspruchs auf den vollen Erholungsurlaub/Teilurlaub

Der Arbeitnehmer erhält den Anspruch auf den vollen gesetzlich vorgeschriebenen Er­ho­lungs­ur­laub erstmalig nach 6-monatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses (§ 4 BUrlG, 6-monatige Wartezeit). Beginnt das Arbeitsverhältnis in der zweiten Hälfte des Ka­len­der­jah­res, kann der Ar­beit­neh­mer die erforderliche Wartezeit nicht mehr erfüllen. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Teilurlaub (§ 5 Absatz 1a–c BUrlG). Dies bedeutet ein Zwölftel des Jah­res­ur­laubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses. In den Fol­ge­jah­ren entsteht der gesetzliche Erholungsurlaub dann jeweils am Jahresanfang. Scheidet der Be­schäf­tig­te innerhalb der ersten Hälfte eines Ka­len­der­jah­res aus dem Arbeitsverhältnis aus, entsteht ein Anspruch auf einen Teilurlaub von einem Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Beschäftigungsmonat.

Teilurlaub bei Beschäftigten mit Schwerbehinderung

Die allgemeinen Grundsätze zum Teilurlaub gelten auch für den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX. Hier zwei Beispiele:

In beiden Fällen erwirbt er nur einen anteiligen Grundurlaub. Auch der dem Grundurlaub hin­zu­zu­rech­nen­de Zusatzurlaub steht dann nur anteilig zu. Eine Besonderheit gilt für die Men­schen mit Schwerbehinderung, deren Schwerbehinderteneigenschaft nicht während des gesamten Kalenderjahres besteht. Ihr ohnehin bereits gezwölftelter Zusatzurlaub (siehe oben) darf nicht noch einmal nach den allgemeinen Regeln des § 5 BUrlG gemindert werden. Dies gilt auch, wenn das Beschäftigungsverhältnis, zum Beispiel wegen Ausscheidens in der ersten Jahreshälfte, nicht das ganze Kalenderjahr über besteht (§ 208 Absatz 2 Satz 3 SGB IX).

Urlaubsansprüche bei Ar­beits­un­fä­hig­keit/ru­hen­dem Ar­beits­ver­hält­nis

Urlaubsansprüche entstehen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts auch dann, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist; dies gilt selbst dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit das gesamte Urlaubsjahr andauert (vergleiche Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Urteil vom 2.1.2009 – C – 350/06; grundlegend Bun­des­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 28.1.1982 – 6 AZR 571/79, seither ständige Recht­spre­chung). Ur­laubs­an­sprü­che entstehen auch, wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers wegen des Bezugs einer befristeten Erwerbsminderungsrente ruht (vergleiche Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10).

Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nach § 3 Absatz 1 BUrlG (24 Werktage) erlischt aufgrund einer mit dem Recht der Europäischen Union konformen Auslegung des § 7 Absatz 3 BUrlG nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder eines Über­tra­gungs­zeit­raums von 3 Monaten nach diesem Zeitpunkt krank und deshalb ar­beits­un­fä­hig ist. Der Anspruch erlischt jedoch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres (vergleiche Bun­des­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10 – und Urteil vom 16.10.2012 – 9 AZR63/11 – unter Berücksichtigung des Urteils des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs vom 22.11.2011 – C – 214/10). Dasselbe gilt auch für den Erholungsurlaub, der während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses entstanden ist (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10).

Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Zusatzurlaub bei Menschen mit Schwerbehinderung (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2011 – 9 AZR 399/10 – und Urteil vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10).

Entstehung und Geltendmachung des Anspruchs auf Zusatzurlaub

Das Anrecht auf den Zusatzurlaub entsteht ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Ar­beit­ge­bers von der Schwerbehinderung. Das Vorliegen der Schwerbehinderung muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber jedoch durch den Schwerbehindertenausweis nachweisen. Wenn das Versorgungsamt oder die nach Landesrecht zuständige Behörde über einen Antrag auf Anerkennung der Schwer­be­hin­de­rung nicht im Jahr der Antragstellung ent­schei­det, kann der Anspruch auf Zusatzurlaub für dieses Jahr nur dadurch gesichert werden, dass der Arbeitnehmer die Gewährung des Zusatzurlaubs von seinem Arbeitgeber ausdrücklich fordert (geltend macht). Allein der Hinweis, er habe einen Anerkennungsantrag gestellt und mache vorsorglich einen Zusatzurlaubsanspruch geltend, reicht dazu nicht aus.

Übertragbarkeit des Zusatzurlaubs bei rück­wir­kend fest­ge­stell­ter Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft (§ 208 Absatz 3 SGB IX)

Wird die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend festgestellt, entsteht auch ein rück­wir­ken­der Anspruch auf Zusatzurlaub. Hat sich das Verfahren auf Feststellung der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft allerdings mehrere Jahre hingezogen, kann nur noch der für das abgelaufene letzte Ka­len­der­jahr rückwirkend entstandene Zusatzurlaub beansprucht werden. Außerdem muss dieser Urlaub dann im laufenden Kalenderjahr bis zum Ende des Übertragungszeitraums genommen werden (vergleiche auch § 7 Absatz 3 BUrlG). Die Länge des Übertragungszeitraums ergibt sich regelmäßig aus den Tarifverträgen, ansonsten aus § 7 Absatz 3 Satz 3 BUrlG (die ersten 3 Monate des folgenden Kalenderjahres).

Aufforderungs- und Hinweispflicht des Arbeitgebers

Wie beim gesetzlichen Mindesturlaub setzt die Befristung des Zusatzurlaubs für Menschen mit Schwerbehinderung grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Zusatzurlaub tatsächlich zu nehmen. Dem Arbeitgeber obliegt somit die Pflicht, konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und recht­zei­tig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Über­tra­gungs­zeit­raums verfällt, wenn er ihn nicht rechtzeitig beantragt. Dies gilt natürlich nur insoweit, als es dem Ar­beit­ge­ber nicht unmöglich ist, den Arbeitnehmer durch seine Mitwirkung in die Lage zu ver­set­zen, den Urlaub zu realisieren. Im Fall des Zusatzurlaubs für Menschen mit Schwer­be­hin­de­rung kann eine solche Unmöglichkeit insbesondere dadurch bedingt sein, dass der Ar­beit­ge­ber gar keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat oder der Ar­beit­neh­mer einen Antrag auf Anerkennung der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft gestellt, den Arbeitgeber aber nicht darüber unterrichtet hat, jeweils sofern keine offenkundige Schwerbehinderung vorliegt (vgl. hierzu aktuell BAG, Urteil vom 26.4.2022 – 9 AZR 367/21).

Geltendmachung der Übertragung von Zusatzurlaub

Auch für die Übertragung eines rückwirkend zustehenden Zusatzurlaubs aus dem Vorjahr im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gilt: Die Ungewissheit über die Anerkennung der Schwerbehinderung ist kein Grund zur au­to­ma­ti­schen Übertragung eines möglichen Zusatzurlaubsanspruchs in das nächste Kalenderjahr bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums. Die Über­tra­gung eines mög­li­cher­wei­se zustehenden Zusatzurlaubs muss vielmehr auch in diesen Fällen beim Arbeitgeber aus­drück­lich geltend gemacht werden.

Mit dem Ablauf des Übertragungszeitraums verfällt auch der mangels Feststellung der Schwer­be­hin­de­rung noch nicht gewährte Zusatzurlaub für das vorhergehende Urlaubsjahr. An seine Stelle tritt aber im bestehenden Arbeitsverhältnis – bei rückwirkender Anerkennung der Schwer­be­hin­de­rung – ein Ur­laubs­er­satz­an­spruch in gleichem Umfang als Scha­dens­er­satz (vergleiche § 281 Absatz 1, § 249 Absatz 1 BGB).

Zusatzurlaubsanspruch bei Verlust der Schwerbehinderteneigenschaft

Der Anspruch auf Zusatzurlaub besteht, solange die Schwerbehinderteneigenschaft fort­dau­ert. Bei einer Herabstufung auf einen Grad der Behinderung (GdB) von weniger als 50 besteht Anspruch auf Zusatzurlaub auf jeden Fall bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides, mit dem die Verringerung festgestellt wurde (§ 199 Absatz 1 SGB IX).

Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Abgeltung des Zusatzurlaubs

Kann der gesetzliche Zusatzurlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist er finanziell abzugelten (§ 7 Absatz 4 BUrlG). Das gilt auch dann, wenn der Zusatzurlaub – ebenso wie der gesetzliche Mindesturlaub – bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht gewährt werden konnte, weil der Arbeitnehmer mit Schwer­be­hin­de­rung arbeitsunfähig erkrankt war (vergleiche Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.3.2010 – 9 AZR 128/09). Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nach der – geänderten – Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein reiner Geldanspruch; er unterscheidet sich damit nicht von anderen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis und unterliegt damit den einzelvertraglichen, tariflichen und/oder allgemeinen Ausschluss- und Verjährungsfristen (vergleiche Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.6.2012 – 9 AZR 652/10). Sofern keine im Arbeitsvertrag vereinbarten oder in dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag geregelten Fristen gelten, findet die allgemeine Verjährungsfrist des § 195 BGB (= 3 Jahre gerechnet ab Ende des Urlaubsjahres) Anwendung.

Abgeltung des Zusatzurlaubs bei Beamten

Für Beamte mit Schwerbehinderung gilt, dass auf den nach europäischem Recht ge­währ­leis­te­ten Mindesturlaub (= Grundurlaub) von 4 Wochen (20 Tage) pro Jahr die zuvor dargelegten Regeln hin­sicht­lich der finanziellen Abgeltung des bis zum Eintritt in den Ruhestand wegen Ar­beits­un­fä­hig­keit nicht genommenen Urlaubs anzuwenden sind. Dieser Min­dest­ur­laub ist bei ihnen finanziell abzugelten (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 3.5.2012 – C – 337/10). Eine finanzielle Abgeltung erfolgt nur für die nicht genommenen Tage des Erholungsurlaubs. Dagegen kommt eine finanzielle Abgeltung bei nicht ein­ge­brach­ten Frei­stel­lungs- oder Ausgleichstagen oder bei dem Zusatzurlaub für Menschen mit Schwer­be­hin­de­rung nach § 208 Absatz 1 Satz 1 SGB IX nicht in Betracht (Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Urteil vom 31.1.2013 – 2 C 10/12, und Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Urteil vom 15.5.2014 – 2 BvR 324/14).

Stand: 28.02.2023

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